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15.05.2024
KLAVIERREZITAL - Roslavets / Feinberg / Yedidia - Jonas Otte
KLAVIERREZITAL JÜDISCHER KOMPONISTEN DES 20. JAHRHUNDERTS
Jonas Otte – Klavier
Programm:
Nikolai Roslavets: 3 Etüden (1914)
Nr. 1: Affettamente
Samuil Feinberg: Sonate Nr. 3, Op. 3 (1916-1917)
I. Prélude
II. Marche funèbre
III. Sonate
Ronn Yedidia: Sonate Nr. 3, „Outcries” (1985)
Nikolai Roslavets (1881-1944, geb. in der heutigen Ukraine) war einer der Wegbereiter für eine Neue Musik in der Ukraine und Russland. Die damalige Komponistenorganisation für Neue Musik (ASM), in der er eine führende Rolle übernahm, setzte sich insbesondere auch für jüdische Musik ein.
Igor Stravinsky beschrieb Roslavets als „interessantesten russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts“. Mit Beginn der stalinistischen Ära und der Kulturpolitik des „sozialistischen Realismus“ in den 1930er Jahren wurde er jedoch verfemt, sodass seine Bedeutung verschwand und erst allmählich wiederentdeckt wird.
Die Klavieretüde „Affettamente“ („liebevoll“) von Nikolai Roslavets bewegt sich im Spannungsfeld von technischer Virtuosität und tiefer Expressivität. Bis zu vier Notenzeilen gleichzeitig werden benötigt, um die polyphonen Schichten mit jeweils eigenen Rhythmen zu einem auch heute noch höchst originellen Tongeflecht zusammenzufügen, das darüber hinaus eine Menge subtiler Nuancen aufweist. Roslavets‘ mystisch anmutende Klangsprache weist zwar Bezüge zu Spätwerken Alexander Skrjabins auf, geht jedoch mittels weitaus komplexerer Verhaltensweisen einen ganz eigenen Weg.
Samuil Feinberg (1890-1962, geb. in Odessa) wirkte 40 Jahre lang als Klavierprofessor am Moskauer Konservatorium, weswegen er in der russischen Klavierschule zahlreichen Spuren hinterlassen hat. Als Pianist hatte er sich mit Aufführungen des gesamten Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach an einem Konzertabend, den 32 Sonaten Beethovens in einer Saison und der Interpretation der Musik Alexander Skrjabins einen Namen gemacht.
Feinbergs dritte Klaviersonate, mit hörbaren Einflüssen durch Bach und Chopin, ist an Monumentalität kaum zu überbieten. Unglaublich viele Noten und lange Phrasen entfalten eine fast tranceartige oder ekstatische Wirkung. Zum dritten Satz, der in der Mitte eine atemberaubende Fuge ins Spiel bringt, äußerte sich der kanadische Pianist Marc-André Hamelin wie folgt:
»It just doesn't stop! It is one of the most remarkable pianistic monsters that I've ever encountered. It just grows and grows and grows – and then you think the piece is over and then there is six more pages of Coda… He just doesn't want to let you go! Until he's milked absolutely everything out of the material. I can tell you, it's not much fun to play, but I do it, because – with all its imperfection – it's a remarkable creation, I've never seen anything like it and probably never will.«
Ronn Yedida (*1960 in Tel-Aviv) ist hochdekorierter Komponist und Pianist. Seine musikalische Karriere begann als pianistisches Wunderkind. Seine wichtigste Lehrerin und Mentorin war Israels „First Lady des Klaviers“, Pnina Salzman, die wiederum ein Schützling von Alfred Cortot war. 1984 trat Yedida in die Juilliard School ein, die er mit einem Doctor of Musical Arts in Komposition abschloss. Er erhielt alle wichtigen Kompositionspreise in den USA.
Seine dritte Klaviersonate „Outcries“ („Aufschrei“) wurde 1987 im israelischen Fernsehen als Entdeckung des Jahres in der klassischen Musik vorgestellt.
Im Vorwort des Komponisten zu seiner Klaviersonate Nr. 3 „Outcries“ beschreibt er sein Schöpfen sowohl aus mystischen als auch aus materiellen Substanzen. Inspiriert wurde er von einer Vielzahl von Einflüssen – vor allem aus der Musik des frühen 20. Jahrhunderts (Skrjabin, Ravel, Bartok, Prokofjev, Strawinsky, Webern, Messiaen), dem modernen Jazz und dem Minimalismus.
»In seiner allgemeinen Struktur stellt „Outcries“ eine Form der kontinuierlichen Veränderung dar: A-B-C mit mehreren Abschnitten. Die organische Qualität des Werks wird durch die Verflechtung von linearen, harmonischen, rhythmischen und Textur bildenden Elementen sowie durch eine serielle Tonhöhen-Organisation erreicht. Das gewaltige Finale der Sonate basiert auf einer 12-tönigen harmonischen Struktur, die sich in einem kumulativen Prozess aufbaut. Starke Klang- und Bewegungskontraste vom Anfang bis zum Ende erzeugen konstante Anspannung und Entspannung und formen eine Struktur von akuter formaler und dynamischer Klarheit inmitten der chaotischen Natur des Stücks.«